Versuch einer technischen Rechtfertigung

Bei meiner Suche nach Informationen zur Ventilschadenproblematik habe ich mit vielen Leuten gesprochen. Leider gibt es sehr viel gesundes Halbwissen und eine Ganze Reihe ‘ich habe einen Bekannten in ... Sportabteilung....’. Eigenartig ist es für mich dann schon, dass diese besonderen Experten ihr Wissen meistens nur an Stammtischen weitergeben aber nie in der einschlägigen Fachliteratur genannt werden.

Ich versuche nun die gesammelten Informationen, soweit sie mir verwertbar erscheinen, und die durch Fachliteratur gewonnenen Kenntnisse hier zusammenfassend darzustellen. Für mich werden diese Resultate zu einer Änderung von Teilen des Ventiltriebs meiner Lario führen. Für Andere mögen sie einen Denkanstoss bilden, den Sie vielleicht unter ‘gesundes Halbwissen’ einordnen mögen.

Verwendete Fachliteratur:
Wege zum Hochleistungs-Viertaktmotor’ von Ludwig Apfelbeck ( ISBN 3-87943-578-2 )
Ventilsteuerungen für Hochleistungsmotoren’ von Ludwig Apfelbeck ist leider nicht mehr zu haben

Beide Bücher habe ich gelesen. Für die hier zu behandelnde Problematik ist das Erste relevant.

Apfelbeck beschreibt die verschiedenen Techniken des Ventiltriebs und geht dann auch auf die Berechnung der entsprechenden Grössen ein.

Zusammen mit Diagrammen, die mir vorliegen, konnte ich erkennen, dass die Belastung des Ventiltriebs im unteren Drehzahlbereich weit oberhalb der empfohlenen Werte liegt. Dies bezieht sich besonders auf die Kräfte, die zu einem Verschleiss der Nockenwelle führen. Die Pressung der Stössel auf die Nockenwelle ( auch Hertzsche Pressung genannt ) soll laut Apfelbeck einen Wert von 735,5 N/mm2 nicht überschreiten. Aus meinem Diagramm jann ich entnehmen, dass dieser Wert bei 1000 U/min bei der Lario jedoch über 900 N/mm2 ansteigt.

In einigen Gesprächen erhielt ich die Info, dass der Ventiltrieb im Stand sehr beansprucht wird, und dazu den Rat die Leerlaufdrehzahl auf 1400 bis 1500 U/min anzuheben.

Zumindest habe ich nun den technischen Hintergrund zu diesen Aussagen. Aber im Ernst, wer will denn mit einem im Stand jaulenden Motor an der Ampel stehen ?
Ausserdem eine kleine Rechenaufgabe: bei 1000 U/min beträgt dieser Wert über 900 N/mm2, bei 10000 U/min sinkt dieser Wert bis auf etwas über 500 N/mm2 ab. Bei welcher Drehzahl ist dann das Apfelbecksche Limit eingehalten ?
Nun leider ist mir noch nicht bekannt, ob die Abnahme der Pressung mit steigender Drehzahl linear oder degressiv ( ich hoffe der Ausdruck stimmt ) ist. Daher erst mal zwei Lösungen:
Lösung 1:
( angenommene Gleichung: y = ax + b )
Bei einer linearen Abnahme müssten das dann rund 4700 U/min sein. Alles darunter würde dann den Ventiltrieb ( Nockenwelle ) zu sehr belasten. Also Standgas rauf auf 4700 U/min ?????
Lösung 2:
( angenommene Gleichung: y = a/x2 + b )
Bei einer degresiven Abnahme würde der Grenzwert bei rund 1300 U/min erreicht. Also Standgas rauf auf 1300 U/min ?????
Bei der zweiten Lösung irritiert mich aber, dass bei so einer geringen Erhöhung des Standgases bereits das Problem gelöst sein könnte. Da hätte es dann sicherlich eine technische Info oder Mails in Foren dazu gegeben.
Diese Berechnungswege werde ich noch genauer untersuchen.

Nichtsdestoweniger finde ich es ( vorerst ) nicht für sinnvoll als Allheilmittel eine Standgasanhebung als Lösung anzunehmen.

Zuerst werde ich erst mal die benötigte Ventil-Federkraft ausrechnen. Dazu gibt das Buch Hilfestellung. Aus der Ventilerhebungskurve ( das ist die graphische Darstellung der Ventilöffnung zum Kurbelwellenstellung ) kann mit Rechnung die entsprechende maximale Verzögerung des Stössels auf dem Nockenwellenscheitel ermittelt werden. Aus diesem Wert und dem Gewicht des Ventiltriebs ergibt sich dann die benötigte Federkraft.

Die Gewichte des Ventiltriebs sind:

Ventiltriebskomponente

Einlassseite

Auslassseite

Angedachte Alternative

Gewicht

Stoessel

25,8

25,8

 

 

Stoesselstange

35,0

35,0

statt Vollmaterial - Rohre

20,0

Kipphebel

150,8

151,2

 

 

Einstellschraube

3,2

3,2

Yamaha-Teil verkürzt

2,2

Mutter

2,2

2,2

 

 

Ventilkappe

0,8

0,8

 

 

Ventil

27,5

28,9

 

 

Ventilkeile

1,5

1,5

 

 

Federteller oben

7,0

7,0

aus Titan

3,5

Ventilfeder

40,5

40,5

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für die vorhandene orginale Ventilfeder konnte ich anhand der WHB-Daten ein Federdiagramm erstellen. Ebenfalls gelang mir dies für den Federsatz des 2V-Motors.

Aus diesen Diagrammen ergibt sich, dass durch die Verwendung der äusseren Feder des 2V-Motors im 4V-Motor die Federkraft um ein Drittel reduziert wird. ( Statt 132 nur noch 90 ). Da aber laut Apfelbeck die Reduzierung der Federkraft zu Problemen in oberen Drehzahlbereich führen kann, feht mir für diese Lösung jetzt der rechnerische Nachweis, dass die 90 noch ausreichen.
Auf alle Fälle erkennt man aus den Diagrammen, dass eine Verwendung der beiden Federn der 2V-Motore zu einer Erhöhung der Federrate führt, die den Ventiltrieb noch schneller zerstören muss. ( Es gibt/gab Guzzi-Händler, die alle Ventile der 4V-Motoren jeweils mit dem Federnpaket der 2V bestücken ).

Um die benötigte Federkraft reduzieren zu können überlege ich einige Änderungen am Ventiltrieb:
- Federteller aus Titan verwenden.
- Der Kipphebel könnte poliert werden, was naturgemaess eine Gewichtsreduzierung mit sich bringt.
- Die Stossstangen könnte ich aus Rohrmaterial anfertigen ( statt wie im Orginal aus Vollmaterial ).

Mit den angedachten Änderungen könnte sich eine Reduzierung des Gewichts um fast 20 gr ergeben. Inwieweit dies einen Einfluss auf die Federstärke hat muss untersucht werden.

....
Aber ich will die Änderungen in einem gewissen finanziellen Rahmen halten. Sonst könnt ich ja gleich neue Köpfe giesen lassen ( mit obenliegender Nockenwelle, Tassenstösseln..... ).